Ein Experte untersucht den Lindner-Plan: Wie nützlich ist der Job-Turbo für Bezieher von Bürgergeld?

Was genau versteht man unter Lindners „Job-Turbo“ für Bürgergeld-Empfänger?

Herr Linder möchte den Prozess der Arbeitsmarktintegration mit einem „Job-Turbo für alle Bürgergeld-Empfänger“ beschleunigen und gleichzeitig die Anrechenbarkeit von Arbeitseinkommen anpassen, damit sich Arbeit mehr lohnt. Der Job-Turbo wurde ursprünglich für Geflüchtete aus der Ukraine ins Leben gerufen, um deren arbeitsmarktliche Integration zu forcieren. Nach Lindners Ideen sollen u.a. „engere Kontaktdichten“ bei der Jobsuche helfen – also häufigere Termine der Jobcenter mit Bürgergeld-Empfängern. Zugleich fordert er bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Menschen, die zwar arbeiten, dennoch auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Wie könnte der Job-Turbo die Integration in den Arbeitsmarkt verbessern?

Wir wissen aus wissenschaftlich begleiteten Projekten der letzten Jahrzehnte, dass die Qualität im Beratungs- und Vermittlungsprozess ein wichtiger Hebel für die Integration in den Arbeitsmarkt ist. Dazu gehören vor allem auch ausreichend Personalressourcen,  um u.a. genügend Zeit für Gespräche zu haben und diese auch in kürzeren Abständen führen zu können. Also: Höhere Kontaktdichten und vor allem mehr Zeit können – je nach Fallkonstellation – einen Beitrag für bessere Integrationschancen leisten.

 

Wir haben hier jedoch weniger ein Erkenntnisproblem als ein Umsetzungsproblem: Denn eine bessere Personalausstattung und mehr Zeit für die Menschen wünschen sich auch die Jobcenter. Wenn die Idee dazu führt, dass die Jobcenter auch tatsächlich die Rahmenbedingungen erhalten, die Betreuung zu intensivieren, dann halte ich den Impuls für hilfreich! Und eine Verbesserung der Hinzuverdienstregelungen unterstützt dies in der Tat. Im übrigen leiden auch die Jobcenter unter Fachkräftemangel. Bereits seit Jahren müssen sie berufliche Quereinsteiger mit viel Arbeits- und Zeitaufwand in eine sehr komplexe Materie einarbeiten.

Sind die aktuellen Bürgergeld-Regelsätze zu hoch, wie Lindner behauptet?

Dies ist nicht zuletzt eine Frage der Perspektive. Legt man die aktuellen Analysen und Berechnungen aus wissenschaftlicher Sicht zugrunde, so lohnt sich Arbeit auch weiterhin. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass dies je nach Haushalts- und Familienkonstellation sehr unterschiedlich ausfallen kann. Vor allem im Niedriglohnsektor und je nach Region (Lebenshaltungskosten / Mietniveau) kann es schon dazu führen, dass man sich die Frage stellt, ob das „Mehr an Einkommen“ z.B. die Arbeitsbelastung ausgleicht.

Gleichzeitig bietet Arbeit ja weit mehr als Einkommen. Insgesamt könnten bessere Möglichkeiten des Hinzuverdienstes hier Anreize setzen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats  beim Bundesministerium der Finanzen vom September 2023 thematisiert u.a. die ungleichen und intransparenten Arbeitsanreize und macht entsprechende Vorschläge.

Welche Vor- und Nachteile bringt der Job-Turbo für Bürgergeld-Bezieher?

Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber kürzlich noch im Rahmen der Bürgergeldreform den Vermittlungsvorrang zu Gunsten von Qualifizierung abgeschafft hat, damit sich die Menschen bessere Berufsperspektiven erarbeiten können. Darauf wurde auch die Arbeit der Jobcenter ausgerichtet. Ich bin mir nicht sicher, ob dies nun bei den Jobcenter-Beschäftigten für einen Motivationsschub sorgt – suggeriert es doch auch, dass man nun mal einen Gang zulegen sollte.

Und: Die Integration von langzeitarbeitslosen Menschen kann aus meiner Sicht jedoch nicht mit dem Turbo-Knopf einfach so beschleunigt werden. Personen, die schon lange auf Arbeitssuche sind, spüren zahlreiche negative Folgen von Arbeitslosigkeit, wie z.B. gesundheitliche Probleme, finanzielle Schwierigkeiten, wenige soziale Netzwerke, Stigmatisierung, fehlende Selbstwirksamkeit und oft veraltete Kompetenzen.

Da kann Qualifizierung und Arbeit schon eine enorme Herausforderung für die Menschen sein. Im Veränderungskontext sind daher eher kleinste Schritte angebracht. Ich setze dem Job-Turbo mal folgendes Sprichwort entgegen: „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!“ Wenn der Impuls jedoch auch die Frage der Verbesserung der Rahmenbedingungen impliziert, dann kann es ein sinnvoller Schritt sein.

Welche langfristigen Auswirkungen könnte der Job-Turbo auf den deutschen Arbeitsmarkt haben?

Ein Blick in die Zukunft ist immer mit Unsicherheiten behaftet. Führt der Vorschlag beispielsweise dazu, dass in den Jobcentern langfristig deutlich weniger Leistungsbeziehende pro Fallmanager betreut werden und mehr Zeit für intensivere Unterstützung vorhanden ist, so ist dies sicher hilfreich. Wir wissen aus einem aktuellen Forschungsprojekt mit langzeitarbeitslosen Menschen, dass eine intensivere Zusammenarbeit selbst bei Personen, die es sehr schwer haben, eine Arbeit zu finden, Entwicklungen anstoßen kann, die man zunächst nicht erwartet.

Wenn auch die Hinzuverdienstregelungen so ausgestaltet werden, dass es sich (trotz) Sozialleistung deutlich lohnt, zu arbeiten, dann ist das insgesamt eine hilfreiche Kombination. Zudem muss auch immer der Arbeitsmarkt mitmachen. Man benötigt somit entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten. All das darf jedoch nicht darüber wegtäuschen, dass viele Langzeitarbeitslose mehrere „Baustellen“ haben, die nicht selten gleichzeitig bearbeitet werden müssen. Und Aspekte wie Alter, Sprache oder Gesundheit kann man eben nicht mit einem Turbo so einfach beeinflussen.

Häufig gestellte Fragen zu diesem Thema


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Andreas Herteux

Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft


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Andreas Herteux

Wirtschafts- und Sozialforscher, Publizist und der Leiter der Erich von Werner Gesellschaft


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Andreas Herteux

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